Kleine Anfrage der Fraktion der SPD
Häusliche Gewalt steigt seit Jahren kontinuierlich an – im vergangenen Jahr wurden laut Lagebild des Bundeskriminalamtes (BKA) 8,5 Prozent mehr Fälle als im Vorjahr registriert. Opfer von Partnerschaftsgewalt sind zu 80,1 Prozent Frauen, die Täter zu 78,3 Prozent Männer. In Deutschland werden in jeder Stunde mehr als 14 Frauen Opfer von Partnerschaftsgewalt, beinahe jeden Tag versucht ein Mann, seine Partnerin oder Ex-Partnerin zu töten und jeden dritten Tag führt ein versuchtes Tötungsdelikt tatsächlich zum Tod der Frau. In Bremen ist laut Polizeilicher Kriminalstatistik die Zahl der registrierten Fälle häuslicher Gewalt im vergangenen Jahr nach einem Sprung auf 3.164 registrierten Fällen 2021 zwar leicht auf 2.776 Betroffene zurückgegangen, liegt aber damit immer noch höher als in den vorangegangenen Jahren. Die Mehrzahl der Beziehungsfemizide ereignet sich im Kontext einer angekündigten oder bereits vollzogenen Trennung, die von der Frau ausgeht, viele davon erst nach einer gewissen Trennungsdauer. Eine besondere Bedrohungssituation für Frauen besteht hier in der Übergabe der Kinder bei Umgangsbesuchen, ist diese doch oft die einzige Möglichkeit für den Ex-Partner, einen Kontakt herzustellen.
Hier setzt Artikel 31 der Istanbul-Konvention an, der sicherstellen soll, dass Vorfälle von Gewalt, die unter diese Konvention fallen, namentlich häusliche Gewalt, bei Entscheidungen über das Sorgerecht und das Besuchsrecht berücksichtigt werden, um zu gewährleisten, dass die Ausübung dieser Rechte die Interessen und die Sicherheit des Opfers oder der Kinder nicht beeinträchtigt werden. Untersuchungen und Publikationen zum Thema zeigen allerdings erheblichen Handlungsbedarf und auch der Expertenausschuss (GREVIO) zur Umsetzung des Übereinkommens des Europarats vom 11. Mai 2011 (Istanbul-Konvention) in Deutschland zeigt sich in seinem ersten Bericht von Oktober 2022 „besorgt darüber, dass die besondere Situation von Frauen, die Gewalt in der Partnerschaft durch den anderen Elternteil erfahren, allem Anschein nach nicht als ein Faktor betrachtet wurde, der besondere Maßnahmen erfordert“ (https://www.bmfsfj.de/resource/blob/202392/e787f7b7e9a3327a2887b972032e9548/stellungnahme-bundesregierung-grevio-bericht-data.pdf, Seite 75) und „appelliert nachdrücklich an die deutschen Behörden, die Auswirkungen der gerichtlichen Praxis bei der Entscheidung über das Sorge- und Besuchsrecht auf die Sicherheit von weiblichen Opfern von Gewalt und ihrer Kinder zu bewerten, einschließlich der Zusammenhänge mit geschlechtsspezifischen Tötungen von Frauen und ihren Kindern, die einschlägige Rechtsprechung zu analysieren und Daten darüber zu erheben, wie Richter das elterliche Sorgerecht oder das Besuchsrecht im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt einschränken oder entziehen, um die Kriterien für bewachte Besuche zu überdenken.“ (A.a.O. Seite 76f.)
Eine wichtige Voraussetzung zur Gewährleistung der Sicherheit der Mütter ist die Sensibilisierung der relevanten Berufsgruppen in der Polizei, bei den Jugendämtern und im Gesundheitswesen sowie in der Justiz, die mit Opfern oder Tätern aller in den Geltungsbereich dieses Übereinkommens fallenden Gewalttaten zu tun haben. Artikel 15 der Istanbul-Konvention verpflichtet daher die Vertragsparteien dazu, ein Angebot an geeigneten Aus- und Fortbildungsmaßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt bereitzustellen.
Vielfach kritisiert wird in diesem Kontext, dass es kaum Daten oder umfassende Studien zur Berücksichtigung von häuslicher Gewalt in Umgangs- und Sorgerechtsverfahren gibt, die Aufschluss darüber zu geben möchten, wie die aktuelle Praxis gestaltet ist und wozu die Vertragsparteien sich gemäß Artikel 11 der Istanbul-Konvention verpflichtet haben.
Wir fragen den Senat:
Selin Arpaz, Sülmez Çolak, Katharina Kähler,
Mustafa Güngör und Fraktion der SPD
SPD-Bürgerschaftsfraktion
Land Bremen
Wachtstraße 27/29
28195 Bremen
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