Unsere politische Arbeit für
Bremen & Bremerhaven

Es ist eine Person im weißen Arztkittel zu sehen. Allerdings nur der Ausschnitt auf Brusthöhe. Die Person hat ein Stethoskop um den Hals.

Große Anfrage der Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und Die Linke

Etwa jeder vierte junge Mensch wächst mit einem psychisch- oder suchterkrankten Elternteil auf. Kinder und Jugendliche aus Familien mit mindestens einem psychisch- oder suchterkrankten Elternteil sind vielfältigen Belastungen ausgesetzt und tragen ein erhöhtes Risiko, selbst psychisch zu erkranken. Die gesamtgesellschaftliche Herausforderung bei der Versorgung und Unterstützung dieser Kinder und Jugendlichen und ihrer Familien ist komplex. Es bedarf eines Zusammenwirkens aller Akteur*innen aus unterschiedlichen Leistungsbereichen und einer besseren Steuerung und Abstimmung der potenziellen Hilfen.

Eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe unter Federführung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) veröffentlichte im Dezember 2019 ihren Abschlussbericht mit 19 Handlungsempfehlungen an Politik und Gesellschaft zur Verbesserung der Situation von Kindern und Familien mit psychisch- oder suchtkranken Eltern. Der Bericht formuliert vier Kernthesen, die für Akteur*innen in diesem Feld und politisch Gestaltende handlungsleitend sein können: (1) Leistungen sollten sowohl individuell als auch am Bedarf der Familien ausgerichtet sein, dabei flächendeckend und die betroffenen Kinder über alle Altersgruppen hinweg in den Blick nehmend. (2) Für Kinder und Jugendliche aller Altersgruppen, aber auch für ihre Familien, sollten präventive Leistungen stets zugänglich sein. (3) Bestehende Hilfsangebote brauchen eine bessere Verzahnung, um den komplexen Bedarfslagen aller Familienmitglieder auch spontan gerecht werden zu können. Und schließlich (4) braucht es für die regionalen Netzwerke Lots*innen, die Zugänge zu (weiteren) Hilfsangeboten ebnen und bedarfsgerechte Unterstützungsmaßnahmen an den Schnittstellen unterschiedlicher Leistungssysteme erleichtern. Der Bundestag hat am 31. Januar 2025 einstimmig einen Antrag der Fraktionen von SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP gebilligt (Bundestags-Drucksache 20/12089), der die Empfehlungen der interdisziplinären Arbeitsgruppe aufgreift. Die Bundesregierung wird darin u. a. aufgefordert, gemeinsam mit den Ländern, den Kommunen und den Sozialversicherungsträgern einen Handlungsrahmen für ein kommunales Gesamtkonzept zur Entwicklung, Umsetzung, Evaluation und Verstetigung multiprofessioneller, qualitätsgesicherter und rechtskreisübergreifender Hilfesysteme zu erstellen.

 

Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat:

 

  1. Wie viele Kinder und Jugendliche im Land Bremen leben gesichert in Familien mit mindestens einem psychisch- oder suchterkrankten Elternteil und sieht der Senat sich in der Lage, hier eine Schätzung zu einer Dunkelziffer abzugeben?
  2. An welchen Stellen, die in der Beratung und Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit sozial-emotionalem Förderbedarf involviert sind, wird auch die psychische Situation der Familienangehörigen erhoben und dokumentiert, z. B. KIPSY, ReBUZ, Jugendämter?
  3. Welche Maßnahmen trifft der Senat, um die Kinder und Jugendlichen mit psychisch- oder suchterkrankten Eltern und ihre spezifischen Bedürfnisse in den Blick zu nehmen?
  4. Welche Angebote zur Unterstützung und Versorgung von Kindern und Jugendlichen psychisch- oder suchterkrankter Eltern gibt es im Land Bremen?
  5. Inwieweit ist dieses Angebot nach Ansicht des Senats ausreichend, um die bestehenden Unterstützungs- und Versorgungsbedarfe zu decken? Wenn es nicht ausreichend ist, welche Angebote oder Behandlungskapazitäten fehlen für eine bedarfsgerechte Versorgung?
  6. Wie bewertet der Senat die Arbeit des Bremer Netzwerks „Kinder psychisch kranker Eltern“ und welche Möglichkeiten sieht er, das hier vorhandene Fachwissen in die Weiterentwicklung von Hilfen einzubinden und die Arbeit zu unterstützen?
  7. Wie bewertet der Senat das vom Fachdienst PiB (Pflegekinder in Bremen) betreute Patenschaftsmodell für Kinder psychisch kranker Eltern? Sieht der Senat Bedarf, dass dieses Angebot weiterentwickelt und/oder ausgebaut wird?
  8. Wie erfolgt die Kooperation zwischen den regionalen psychiatrischen Behandlungszentren, der kinder- und jugendpsychiatrischen Beratungsstelle und Institutsambulanz (KIPSY) und dem Jugendamt bei der Begleitung und Betreuung von Kindern und Familien mit einem psychisch- oder suchterkrankten Elternteil und wie bewertet der Senat diese Kooperation?
  9. Inwieweit plant der Senat die Ausarbeitung eines kommunalen oder Landes-Gesamtkonzeptes für Hilfen für Kinder und Jugendliche mit psychisch- oder suchterkrankten Eltern und welche Akteur*innen beabsichtigt er dabei einzubinden?
  10. Werden die Kinderärzt*innen im Land als Teil einer Gesamtstrategie berücksichtigt, wenn ja, in welcher Form geschieht das und wo sieht der Senat Ausbaupotenziale?
  11. Welche Schutzkonzepte bestehen in den Jugendämtern für Kinder und Jugendliche mit psychisch- oder suchterkrankten Eltern?
  12. Welche Akteur*innen sind in der Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit psychisch- oder suchterkrankten Elternteilen und ihren Familien tätig?
  13. Wie erfolgt die Koordination von Hilfen und die Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Akteur*innen in der Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit psychisch- oder suchterkrankten Elternteilen und ihren Familien? Welche Vorgaben bezüglich des Informationsflusses zwischen den Akteur*innen sind zu beachten?
  14. Wie bewertet der Senat die Notwendigkeit zentraler Ansprechpartner*innen und Koordinationsstellen, damit das Hilfesystem im Sinne der betroffenen Kinder und Jugendlichen effektiv und passgenau aufgebaut und angesteuert werden kann?
  15. Wie werden die im Hilfesystem arbeitenden Mitarbeitenden geschult?
    1. Welche Fortbildungsmöglichkeiten stehen Mitarbeiter*innen der Jugendämter und anderer im Hilfesystem Arbeitenden offen, um die Problemlagen in den betroffenen Familien besser erkennen und Hilfen zielgerichteter organisieren zu können? Hält der Senat dieses Angebot für ausreichend?
    2. Welche Aus- und Weiterbildungsangebote bestehen für Lehrkräfte, pädagogische Fachkräfte und Schulsozialarbeiter*innen in Kitas und Schulen im Umgang mit Familien, insbesondere in Bezug auf die Bedarfe von Kindern und Jugendlichen mit psychisch- oder suchterkrankten Eltern? Hält der Senat diese Angebote für ausreichend?
    3. Wie werden Hebammen und Mitarbeiter*innen der Familienpflege für die Bedarfe von Kindern und Jugendlichen mit psychisch- oder suchterkrankten Eltern sensibilisiert, um den niedrigschwelligen Zugang zu Hilfen zu gewährleisten?
    4. Wie werden Kinderärzt*innen sowie Psycholog*innen und Psychiater*innen für Kinder und Jugendliche für die Bedarfe von Kindern und Jugendlichen mit psychisch- oder suchterkrankten Eltern sensibilisiert, um den niedrigschwelligen Zugang zu Hilfen zu gewährleisten?
    5. Inwieweit werden auch Ärzt*innen, Psycholog*innen und Psychiater*innen für Erwachsene über Hilfsangebote für Kinder und Jugendliche von psychisch- oder suchterkrankten Eltern informiert?
  1. Wie werden die im Hilfesystem arbeitenden Mitarbeitenden über die Qualifizierungsoptionen sowie das Hilfesystem informiert, um einen niedrigschwelligen Zugang zu Unterstützungsangeboten zu gewährleisten?
  2. Wie viele und welche Einrichtungen stehen im Land Bremen zur Verfügung, um Kinder und Eltern gemeinsam zu unterstützen? Wie viele Plätze stehen in diesen (etwa Mutter-Kind- bzw. Eltern-Kind-)Einrichtungen zur Verfügung? Bitte aufschlüsseln nach stationären, teilstationären und ambulanten Angeboten.
  3. Wie schätzt der Senat den Bedarf an den in der Vorfrage genannten Angeboten ein und ist geplant, hier einen Ausbau zu initiieren? Wenn ja, vor welchem zeitlichen Hintergrund kann das erfolgen?
  4. Welche spezifischen Angebote der frühen Hilfen haben Kinder und Jugendliche mit psychisch- oder suchterkrankten Elternteilen und ihre Familien im Blick und leisten damit einen Beitrag in der Präventionsarbeit? Gibt es Präventionsketten in diesem Bereich?
  5. Welche Informationsmaterialien in altersgerechter Sprache und Aufmachung werden für betroffene Kinder und Jugendliche im Sinne einer Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention bereitgestellt?
  6. Welche Verfahrensvorgaben oder -empfehlungen gelten für psychiatrische Einrichtungen im Land Bremen, um eine Unterstützung der Kinder von bei ihnen in Behandlung befindlichen Elternteilen sicherzustellen?
  7. Werden bereits EX-IN-Kräfte geschult und in der Betreuung von betroffenen Familien eingesetzt? Und falls nein, wie beurteilt der Senat die Möglichkeit eines Einsatzes solcher Kräfte und welche Weiterqualifizierung im Hinblick auf die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen hält der Senat hierfür für erforderlich?
  8. In welchen Bereichen hält der Senat eine Entwicklung von rechtskreisübergreifenden Hilfen für notwendig und setzt sich bspw. auf Bundesebene für entsprechende Reformen ein?
  9. Wo sind rechtskreisübergreifende Hilfen schon heute umsetzbar bzw. werden schon heute umgesetzt?
  10. In welchen Bereichen hält der Senat rechtskreisübergreifende Finanzierungskonzepte für notwendig und welche davon können schon heute auf Länderebene umgesetzt werden?
  11. Welche Maßnahmen zur Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen (z. B. öffentlichkeitswirksame Kampagnen, Förderung von Begegnungsräumen, aktive Beteiligung von Betroffenen in Entscheidungs- und Planungsprozessen, Stärkung von Selbsthilfegruppen etc.) hat der Senat bereits ergriffen oder plant er zu ergreifen?
  12. Welche weiteren Handlungsaufträge leitet der Senat für sich oder andere Akteur*innen im Land Bremen aus den Empfehlungen der in der Vorbemerkung genannten interdisziplinären Arbeitsgruppe ab?
  13. Welche verhältnispräventiven Ansätze, soweit noch nicht genannt, wären nach Ansicht des Senats zielführend, um Eltern wirksam vor psychischen Erkrankungen und insbesondere vor Suchterkrankungen zu schützen?

 

 

Sahhanim Görgü-Philipp, Dr. Franziska Tell, Dr. Henrike Müller
und Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Katharina Kähler, Selin Arpaz, Ute Reimers-Bruns,
Mustafa Güngör und Fraktion der SPD

Nelson Janßen, Dariush Hassanpour, Sofia Leonidakis
und Fraktion Die Linke