Seit 1998 finden an der Universität Bremen Tierversuche an Makaken statt. Vor dem Hintergrund der EU-Gesetzgebung zu Tierversuchen, der Anpassungen des deutschen Tierschutzgesetzes, der aktuellen wissenschaftlichen Entwicklungen und der verstärkten Verbreitung von Alternativmethoden müssen diese Versuche noch erheblich kritischer bewertet werden als bisher. Dem soll auch der Senat bei künftigen Genehmigungsverfahren Rechnung tragen.
Die Primatenversuche werden durchgeführt vom Zentrum für Kognitionswissenschaften der Universität Bremen, Abteilung kognitive Neurophysiologie (Hirnforschung II). Es handelt sich um invasive Versuche: Den Affen werden Elektroden fest ins Hirn eingepflanzt, die Tiere werden während der Versuche fixiert. Ziel der Versuche ist die Beobachtung von Gehirnvorgängen auf der Ebene einzelner Nervenzellen. Die Versuchsreihen sollen einerseits der Grundlagenforschung dienen, andererseits konkrete Anwendungsmöglichkeiten für menschliche Gehirnerkrankungen eröffnen.
Die Bremische Bürgerschaft hat 2007 beschlossen, dass der Senat den Ausstieg aus den invasiven Primatenversuchen anstreben soll. Ein Antrag auf Genehmigung einer erneuten Versuchsreihe wurde 2008 von der Senatorin für Gesundheit abgelehnt. Der folgende Rechtsstreit wurde 2014 verloren. Die Primatenversuche waren in der Zwischenzeit auf der Grundlage einstweiliger Verfügungen fortgesetzt worden. Die 2018 erneut erteilte Genehmigung läuft zum 30.11.2021 aus. Die Universität plant die Versuche fortzusetzen.
Kern des Tierversuchsrechts ist die notwendige Abwägung zwischen dem Nutzen für den Menschen und der Zumutung für das Tier. Dabei muss der wissenschaftliche und medizinische Nutzen umso höher sein, je schwerwiegender die Eingriffe sind, je mehr Leiden sie verursachen, und je näher die betreffenden Tierarten dem Menschen stehen. So schränkt die EU-Richtlinie die Verwendung von Menschenaffen auf wenige Ausnahmefälle ein; in Deutschland werden Menschenaffen seit 1991 nicht mehr als Versuchstiere verwendet. Auch für Versuche an anderen Primaten setzt das deutsche Tierschutzgesetz höhere Hürden als für andere Tiere. Es gibt starke Tendenzen in der öffentlichen Meinungsbildung, auch andere Primaten weitgehend von Tierversuchen auszuschließen. Forschungsinstitute, die Tierversuche an Primaten durchführen, begründen dies dagegen gerade mit der großen Menschenähnlichkeit der Versuchstiere, da nur so Rückschlüsse auf menschliche Hirnvorgänge möglich seien.
In den letzten Jahren hat an verschiedenen Instituten eine Abwendung von Primatenversuchen eingesetzt. Am Tübinger Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik wurden die Primatenversuche 2015 eingestellt. Die Ruhr-Universität Bochum führt seit 2019 Versuche, die zum besseren Verständnis von Alzheimer-Erkrankungen dienen sollen, an Organoiden durch, aus Stammzellen gezüchteten Mini-Gehirnen. Bildgebende Verfahren (MRT), bei denen Elektroden lediglich äußerlich angebracht werden, machen große Fortschritte. Die Auflösung reicht zwar nicht auf die Ebene einzelner Nervenzellen, kann aber das Zusammenspiel detaillierter Hirnregionen immer detaillierter beobachten. Insbesondere die Kombination solcher Alternativmethoden kann unter Umständen bessere und schnellere Erkenntnisse bringen als das Anbohren von einzelnen Nervenzellen am lebenden Tier.
Die Anforderungen an den Nachweis, dass invasive Tierversuche an Primaten tatsächlich unerlässlich sind, dass grundlegende Erkenntnisse und anwendungsrelevante Ergebnisse nicht mit Alternativmethoden erreicht werden können, und dass die bisherigen und realistisch zu erwartenden Forschungsergebnisse den hohen Leidensdruck der Versuchstiere rechtfertigen, sind damit erheblich gestiegen. Dies muss bei künftigen Genehmigungsentscheidungen berücksichtigt werden.
Die Europäische Union hat am 22.09.2010 eine Richtlinie zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere erlassen, die als bindendes Recht von den Mitgliedsstaaten in nationale Gesetzgebung umgesetzt werden muss. Deutschland hat dies 2013 mit dem Dritten Gesetz zur Änderung des Tierschutzgesetzes getan, was von der EU als unzureichend angesehen wurde. Die EU hat 2018 ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Der Bundesgesetzgeber hat darum im Juni 2021 das „Gesetz zur Änderung des Tierschutzgesetzes – Schutz von Versuchstieren“ beschlossen, dessen Regelungen überwiegend ab dem 1. Dezember 2021 anzuwenden sind. In der Gesetzesbegründung wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Ergänzungen zum Bereich Tierversuche „klarstellenden Charakter“ haben. Entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist damit zwar keine echte Rückwirkung auf frühere Entscheidungen verbunden, bei allen neuen Entscheidungen ist aber die rechtliche Klarstellung anzuwenden. Dies gilt auch für die Klarstellung, dass für die Genehmigung von Tierversuchen die wissenschaftlich begründete Darlegung des Antragstellers nicht ausreichend ist, sondern die Genehmigung nur nach Prüfung durch die genehmigende Behörde erfolgen kann, wenn die Versuche aus wissenschaftlicher Sicht gerechtfertigt sind.
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