Hass im Netz hat sich in den vergangenen Jahren zu einem weit verbreiteten Phänomen entwickelt. Betroffen sind die unterschiedlichsten Menschengruppen. Politische Aktivist*innen sind aufgrund ihres Engagements betroffen, Jüd*innen sowie Muslim*innen wegen Antisemitismus und Rassismus, LGBTQI aufgrund ihrer sexuellen Orientierung bzw. geschlechtlichen Identität, Frauen werden sexistisch beleidigt und bedroht; diese Aufzählung ließe sich allzu lange fortsetzen. Hass im Netz ist als Phänomenbereich nicht von „analoger“ Hetze der extrem rechten und gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit zu trennen. Betroffene erfahren oft Angriffe in beiden Bereichen.
In einer Studie des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft mit repräsentativer Stichprobe aus dem Jahr 2019 gaben 8 Prozent der Befragten an, von Hass im Netz betroffen zu sein. Für die Gruppe der Jugendlichen im Alter zwischen 18 und 24 Jahren liegt der Anteil bereits bei 17 Prozent. Die Studie stellt ebenfalls fest, dass Menschen, die strukturelle und Alltagsdiskriminierung erfahren, auch im Internet häufiger davon betroffen sind. Beispielsweise werden 14 Prozent der Menschen, die Rassismus erfahren, Ziel von Angriffen im Netz, gegenüber 6 Prozent Anteil bei „Menschen ohne Migrationshintergrund“. Die drei häufigsten Bezugspunkte für Hass sind die politischen Ansichten der Betroffenen (39 Prozent), das Aussehen (31 Prozent) und die Herkunft (18 Prozent).
Die Betroffenen von Hassbotschaften im Netz leiden psychisch unter den Attacken. So gibt jede zweite Person an, unter emotionalem Stress zu leiden; weiter berichten sie über Angst, Unruhe und Depressionen. Doch auch außerhalb der Gruppe der Betroffenen wirkt Hass im Netz als Drohkulisse: 54 Prozent der Befragten geben an, aus Angst vor möglichen Hasspostings ihre Meinung im Internet seltener kundzutun. Dies schränkt die öffentliche Debatte, einen wesentlichen Teil der Demokratie, erheblich ein und sorgt für eine Überrepräsentation extrem rechter und menschenfeindlicher Botschaften. Digitaler Hass und physische Gewalt hängen zusammen. Taten wie die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübke oder der Anschlag auf eine Synagoge in Halle werden aus rechten Kommunikationsräumen heraus begangen, in denen diese Taten legitimiert und potenzielle Opfer markiert werden.
Hasskriminalität im Netz kommt überwiegend von rechts. Auf Anfrage der Bundestagsfraktion DIE LINKE (Bundestags-Drucksache 19/11908) zeigt sich, dass in den Jahren 2016, 2017 und 2018 jeweils über neunzig Prozent der Hassdelikte im Internet dem Phänomenbereich „Rechts“ zugeordnet sind. Organisierte Strukturen bereiten koordiniert Hassattacken im Netz vor, um so den Algorithmen sozialer Netzwerke Relevanz vorzutäuschen und eine breit vertretene Meinung zu suggerieren.
Viele Menschen erleben das Internet als einen rechtsfreien Raum, in dem sichtbare Normenbrüche offenbar als Normalität wahrgenommen werden. Nur ein verschwindend geringer Bruchteil dieser Normenbrüche wurde bisher zur Anzeige gebracht. Während die Kriminologie bei Delikten außerhalb des Internets von einer durchschnittlichen Dunkelzifferrelation von etwa eins zu zehn bis eins zu fünfzehn ausgeht, wird für den digitalen Raum angenommen, dass auf eine angezeigte Straftat weit über hundert nicht angezeigte Straftaten kommen. Anders als im analogen Raum bleiben diese Normenbrüche nicht im Dunkelfeld, sondern sichtbar bestehend in Form von Kommentaren, Videos oder in anderen Medien. Von Expert*innen wird dabei betont, dass gerade die Anzeige und rechtliche Konsequenzen für Täter*innen als Mittel zur Bekämpfung von Hate-Speech wichtig sind. Die Auswirkungen der am 3. April 2021 in Kraft getretenen Erweiterungen mehrerer einschlägiger Straftatbestände und insbesondere der ab Februar 2022 geltenden Pflicht für Anbieter sozialer Netzwerke, bestimmte strafbare Inhalte ans Bundeskriminalamt zu melden, werden abzuwarten sein.
Um dem Hass im Netz entschlossener entgegenzutreten, bedarf es einer ganzen Reihe an Maßnahmen, die das gesamte Spektrum aus Prävention, Opferschutz, Beratung, Ermittlung und Strafverfolgung abdecken müssen. Dies soll zum einen durch die Stärkung und Ergänzung bestehender Strukturen für die Beratung, Unterstützung und psychosozialer Begleitung Betroffener sowie die Meldung entsprechender Hassinhalte erreicht werden, zum anderen sollen innerhalb der Polizei sowie der Staatsanwaltschaft Kompetenzen zur Erfüllung dieses Ziels verbessert werden. Besonders geschulte Polizist*innen für die Annahme entsprechender Anzeigen helfen bei der Vermeidung von sekundärer Viktimisierung und Enttäuschungen bei den Betroffenen. Dabei sollen insbesondere bestehende Strukturen wie die Initiative „Resignation ist keine Option“ (RIKO) der Bremischen Landesmedienanstalt in die Konzeption neuer Maßnahmen eingebunden werden.
Es wird eine zentrale Meldestelle für die Opfer von Hate-Speech im Land Bremen benötigt. Hier sollen betroffene Personen schnell, qualifiziert und unbürokratisch Hilfe erhalten. Sie sollte Betroffene über ihre Rechte im konkreten Einzelfall aufklären, sie bei weiteren ggf. rechtlichen Schritten unterstützen und weitere Unterstützung, wie z.B. Prozesskostenhilfe, organisieren. Als Meldestelle soll sie die Möglichkeit bieten, Hasspostings direkt online zu melden, sich ggf. um die Löschung des Posts beim Betreiber kümmern und Offizialdelikte wie Volksverhetzung oder Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole direkt zur Anzeige bringen. Insbesondere im Bereich der Löschung und Anzeige soll auf die Erfahrungen des bundesweiten Projekts hateaid.org und der RIKO zurückgegriffen werden, da diese bereits für die Bremer Medienhäuser Konzepte entwickelt hat, um in diesem Bereich für Verbesserung zur sorgen.
Die zentrale Stelle soll sich in Zusammenarbeit mit entsprechend qualifizierten Stellen beim Demokratiezentrum ebenfalls darum kümmern, dass Kinder und Jugendliche schon früh schulisch wie außerschulisch für das Thema Hass im Internet sensibilisiert werden.
Diese Aufgaben gemeinsam unter einem Dach im Rahmen einer zentralen Beratungs-, Hilfe- und Meldestelle zu vereinen, ist ein wertvoller Beitrag für Prävention und Opferschutz. Baden-Württemberg hat eine solche Stelle bereits erfolgreich eingerichtet. Aufgrund der hohen Beratungskompetenz des Bremer Demokratiezentrums zu Rechtsextremismus, gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und weiteren Themen ist dieses der richtige Ort für die Einrichtung einer solchen Beratungsleistung. Zum Aufbau der zentralen Stelle soll eine Zusammenarbeit mit der Bremischen Landesmedienanstalt und den bestehenden Angeboten und Akteur*innen, wie z.B. der Mobilen Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus und die Beratungsstelle Soliport, angestrebt werden, um die bereits vorhandenen Kompetenzen sinnvoll zu nutzen.
Um Betroffene bei der Anzeige von Delikten im Bereich Hate-Speech angemessen begleiten zu können, ist es wichtig, dass auch Polizist*innen ausreichend geschult sind. Daher ist es wichtig, dass das Thema Hate-Speech-Delikte Teil der polizeilichen Aus- und Fortbildungen bleibt, um die fachliche Kompetenz gewährleisten zu können. Darüber hinaus soll durch die Möglichkeit, eine Anzeige online erstatten zu können, die Hemmschwelle, persönlich auf die Wache zu gehen, abgebaut werden. Dies erleichtert zudem die Übermittlung von Screenshots und anderen Beweismitteln.
Um das Fachwissen zur Verfolgung der Hate-Speech-Delikte zu bündeln und orchestrierte Hassangriffe zuverlässig zu erkennen, soll darüber hinaus geprüft werden, ob ein Schwerpunktdezernat für Hate-Speech und digitale Gewalt bei der Staatsanwaltschaft eingerichtet werden kann. Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Gerichte müssen für das Phänomen Hate-Speech sensibilisiert werden und über die Fachkompetenz verfügen, entsprechende Delikte effektiv zu verfolgen. Um dies leisten zu können, benötigt die Justiz die angemessenen personellen und technischen Ressourcen.
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