Seit vielen Jahren bemühen sich Betroffenen-Gruppen darum, die christlichen Kirchen zu einer umfassenden Aufarbeitung sexualisierter Gewalt zu bewegen. Seither werden in regelmäßigen Abständen jahrzehntelange skandalöse Zustände bekannt. Sowohl in der katholischen als auch in der evangelischen Kirche war es Tätern jahrzehntelang nahezu unbehelligt möglich, sexuell motivierte Straftaten an Kindern und Jugendlichen zu begehen. Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, sieht dafür systemische Gründe und identifiziert kirchliche Muster und Strukturen, die sexualisierte Gewalt begünstigen.
Die Vertuschung der Straftaten scheint zu diesen kirchlichen Mustern zu gehören, dies legt jedenfalls das zuletzt veröffentlichte Münchner Missbrauchsgutachten nahe. Das Gutachten sorgte für viel Aufsehen und Erschütterung. Das vom Erzbistum selbst in Auftrag gegebene Gutachten einer Anwaltskanzlei war zu dem Ergebnis gekommen, dass Fälle von sexualisierter Gewalt in der Diözese über Jahrzehnte nicht angemessen behandelt worden waren. Laut dem Bericht sind zwischen 1945 und 2019 in dem Bistum mindestens 497 Kinder und Jugendliche von Kirchenangehörigen sexuell missbraucht worden. Mindestens 235 mutmaßliche Täter gab es demnach – darunter 173 Priester und neun Diakone. In keinem Fall kam es zur strafrechtlichen Verfolgung der Straftaten.
Erneut wurde nicht nur der weit verbreitete Missbrauch von Kindern in der katholischen Kirche bekannt, sondern hinzu kam der Beleg des aktiven Vertuschens von Straftaten durch die Kirchenleitung. Von Komplizenschaft ist die Rede.
Deshalb wird inzwischen nicht nur von Betroffenen der Aufarbeitungswille der katholischen Kirche in Frage gestellt. Laien und reformwillige Kirchenvertreter*innen organisieren sich und fordern neben einer unabhängigen Untersuchung und staatlichen Ahndung sexueller Straftaten eine breit angelegte Reform der teils intransparenten und patriarchalen Strukturen in der Katholischen Kirche. Die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, setzt daher unabhängig von der innerkirchlichen Diskussion auf eine stärkere Einmischung der Politik als notwendige Maßnahme bei der Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt durch Geistliche oder Kirchenvertreter. Auch die Bundesregierung will die Aufarbeitung struktureller sexualisierter Gewalt an Kindern und Jugendlichen in Kirchen nicht mehr den Kirchen allein überlassen und stellt in Aussicht, sowohl das das Amt des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) gesetzlich neu zu regeln als auch die unabhängige Aufarbeitungskommission, deren Laufzeit eigentlich Ende 2023 enden soll, neu aufzustellen. Im Koalitionsvertrag hat sich die Bundesregierung dazu verpflichtet, die Aufarbeitungskommission in ihrer jetzigen Form weiterzuführen.
Darüber hinaus fordern Betroffene eine staatliche Aufarbeitung, z.B. in einer an den Bundestag angesiedelten „Wahrheits-/Gerechtigkeitskommission“. Aus ihrer Sicht ist die Aufarbeitung eine gesellschaftspolitische Aufgabe, keine innerkirchliche, denn die Münchner Studie zeige auf, dass vor allem die innerkirchlichen Machtstrukturen den Schutz der Kinder und die Rechte der Betroffenen untergraben. Dringend geboten ist eine konsequente unabhängige Analyse täterfreundlicher Strategien und Strukturen innerhalb der Kirchen.
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