Unsere politische Arbeit für
Bremen & Bremerhaven

Ein Modelhaus und ein Schlüssel

Große Anfrage der Fraktionen der SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE

 

Die Bereitstellung öffentlich geförderter Wohnungen ist ein zentrales Instrument der Wohnungspolitik in Deutschland. Spätestens im Zuge des dritten Wohnraumförderungsgesetzes (WoFG) aus dem Jahr 2001 liegt der Fokus auf der Bereitstellung von Wohnraum für Personen, die auf dem freien Markt nicht die Möglichkeit haben, angemessen Wohnraum zu erhalten. Die Zugangsberechtigung zu öffentlich geförderten Wohnungen wird über den Wohnberechtigungsschein nachgewiesen. Maßgebliches Kriterium, um diesen zu erhalten, ist neben der Haushaltsgröße das Einkommen.

Seit 2006 ist es den Bundesländern möglich, selbstständig die Höhe der Einkommensgrenze festzulegen. Hierdurch sollte den unterschiedlichen Wohnungsmärkten in Deutschland Rechnung getragen und die Einkommensgrenzen durch eigene Wohnraumfördergesetze der Länder besser an die Lebensrealitäten der Menschen angepasst werden können. Im Land Bremen bilden noch immer die Einkommensgrenzen des Wohnraumfördergesetzes des Bundes den Maßstab zur Beurteilung des Anspruches auf einen Wohnberechtigungsschein und daher über den Zugang zu preisgebunden Wohnraum. Demnach sind alleinstehende Personen bis zu einem Jahreseinkommen von 12.000 Euro antragsberechtigt, für einen Zweipersonenhaushalt beträgt die Einkommensgrenze 18.000 Euro (§ 9 WoFG).

Diese Einkommensgrenze erscheint aus der Zeit gefallen. Gerade vor dem Hintergrund, dass die Durchschnittseinkommen in Bremen und Bremerhaven seit 2007 um 31 Prozent gestiegen sind und die Verbraucherpreise um 32,8 Prozent. Allein durch diese Entwicklungen entspricht die damalige Einkommensgrenze von 12.000 Euro bemessen an der Lohnentwicklung heute einer Grenze von 15.700 Euro. Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber mit der Einführung und kontinuierlichen Anpassung des Mindestlohns die Einkommen von arbeitenden Menschen im Niedriglohnsektor in Deutschland bessergestellt hat. So erhält ein:e Vollzeitbeschäftigte:r zum aktuellen Mindestlohn ein Jahresbruttoeinkommen von rund 25.800 Euro, was auch nach Abzug von Werbungskosten annähernd dem Doppelten der aktuell im Land Bremen gültigen Einkommensgrenze für Wohnberechtigungsscheine entspricht. Obwohl gerade Beschäftigte im Niedriglohnsektor eine Kernzielgruppe der Wohnraumförderung darstellen sollen, zeigt sich, dass sich im Laufe der inzwischen vielen Jahre ohne Anhebung der Einkommensgrenzen ihre Zugangsmöglichkeit zu öffentlich gefördertem Wohnraum verschlechtert hat. Zudem weist der EU-Beihilferechtliche Rahmen für die Wohnraumförderung darauf hin, dass auch Personen aus mittleren Einkommensschichten Probleme haben, sich am freien Wohnungsmarkt mit eignen Mitteln adäquat mit Wohnraum zu versorgen, weshalb die Zielgruppe des sozialen Wohnungsbaus den tatsächlichen Gegebenheiten des Wohnungsmarktes entsprechend ausgeweitet werden könne.

Gleichzeitig erleben wir auch besonders in Bremen in den letzten Jahren eine dramatische Verschärfung der Lage am Wohnungsmarkt. So ist die Mietbelastungsquote (Anteil der Nettokaltmiete am Haushaltseinkommen) im Land Bremen 2022 auf 30,4 Prozent gestiegen und liegt somit über dem laut Expert:innen und Wissenschaft als problematisch anzusehenden Wert von 30 Prozent. Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine hat sich die Lage am Wohnungsmarkt noch einmal verschärft – durch gestiegene Zuwanderung Schutzsuchender einerseits und einer infolge gestiegener Zinsen und gestörter Lieferketten eingebrochener Baukonjunktur und erschwerten Eigenheimfinanzierung andererseits – und betrifft nun noch einmal breitere Kreise der Bevölkerung.

Auch aus diesen Gründen ist in bestimmten Fällen bereits seit 2009 eine Überschreitung der Einkommensgrenze um bis zu 60 Prozent möglich. Eine schlüssige Neufestlegung der Einkommensgrenzen, bezogen auf die heutige Einkommensverteilung und die heutige, gegenüber 2006 deutlich angespanntere, Lage am Wohnungsmarkt, fehlt allerdings bisher.

Bremen und Bremerhaven haben vor allem durch die Aktivitäten ihrer kommunalen Wohnungsunternehmen, häufig in erfolgreicher Kooperation mit privaten Bauträgern, sowie die Etablierung der Sozialquote für Neubauprojekte und die Verlängerung von Belegbindungen im Bestand wichtige Schritte zur Stärkung des sozialen und preisgebundenen Wohnungsmarktes unternommen. Seit der Wiederaufnahme des sozialen Wohnungsbaus wurden rund 3.000 neue Wohnungen für Menschen mit Wohnberechtigungsschein neu gebaut oder befinden sich im Bau. Diese Bemühungen gilt es fortzusetzen und durch Verbesserung der Förderkonditionen abzusichern. Gleichzeitig gilt es aber auch, den Zugang zu diesen Wohnungen zu betrachten, die Einkommensgrenzen kritisch zu prüfen, inwieweit sie noch auf der Höhe der Zeit sind und einer Anpassung bedürfen, um alle Zielgruppen zu erreichen, die sich am Wohnungsmarkt nicht angemessen mit Wohnraum versorgen können.

Wir fragen den Senat:

 

  1. Wie bewertet der Senat das Instrument des preisgebundenen Wohnungsbaus und die Vergabe von Wohnberechtigungsscheinen im Hinblick auf die Bedeutung einer sozial gerechten Wohnraumversorgung?
  2. Wie viele Wohnberechtigungsscheine wurden in den vergangenen fünf Jahren im Land Bremen ausgestellt (Bitte tabellarisch getrennt nach Jahren und Stadtgemeinden darstellen) und wie lange sind diese gültig?
  3. Wie viele Menschen besaßen in demselben Zeitraum gültige Wohnberechtigungsscheine?
  4. Wie viele Anträge auf die Ausstellung eines Wohnberechtigungsscheins wurden in diesem Zeitraum aufgrund einer Überschreitung der Einkommensgrenze abgelehnt? Wie viele wurden aus anderen Gründen, insbesondere im Hinblick auf den Aufenthaltsstatus oder die Bleibeperspektive abgelehnt?
  5. Welche Erkenntnisse hat der Senat über diejenigen Haushalte, welche in den vergangen fünf Jahren erfolgreich einen Wohnberechtigungsschein beantragt haben, in Bezug auf folgende Aspekte:
    1. Die Haushaltsgröße (Bitte sowohl die Verteilung als auch den Durchschnitt angeben)?
    2. Die Anzahl der Haushalte mit Minderjährigen und die Anzahl der dort lebenden Minderjährigen?
    3. Die Anzahl der bewilligten Wohnberechtigungsscheine welche an Empfänger:innen von Transferleistungen ausgeben wurde? Bitte aufschlüsseln, welche Formen von Transferleistungen.
    4. Wie viele Haushalte sind berufstätig und wie hoch ist deren Medianeinkommen?
    5. Wie viele Antragssteller:innen waren Studierende, Auszubildende oder Asylbewerber:innen?
    6. Wie viele Antragssteller:innen leben in Wohngemeinschaften?
    7. Wie viele Antragssteller:innen liegen innerhalb des Toleranzwertes einer Überschreitung der Einkommensgrenze um bis zu 60 Prozent?
    8. Bei wie vielen Haushalten lag bei Antragsstellung ein Wohnungsnotstand vor?
  6. Welche Erkenntnisse liegen dem Senat dazu vor, inwieweit sich andere Bundesländer betreffend die unter 3. bis 5. formulierten Fragen vom Land Bremen strukturell unterscheiden?
  7. Wie viele Antragssteller:innen haben nach Ausstellung eines Wohnberechtigungsscheins tatsächlich eine geförderte Wohnung beziehen können?
  8. Wie beurteilt der Senat die Bedeutung des Zugangs zu preisgebundenem Wohnraum in Bezug auf die Wohnraumversorgung
    1. junger Menschen, im Besonderen für Studierende und Auszubildende,
    2. für Familien mit mehreren Kindern und
    3. für Rentner:innen
    4. für Geflüchtete?
  1. Wie haben sich die Zugangsvoraussetzungen des Wohnberechtigungsscheins für Bremer:innen seit 2006 entwickelt? In welchen Fällen ist die um 60 Prozent erhöhte Einkommensgrenze maßgeblich und wie begründet sich diese Festlegung?
  2. Inwieweit ist es aus Sicht des Senats möglich, unter den im Land Bremen geltenden Einkommensgrenzen (§ 9 Absatz 2 WoFG) dem Anspruch der Wohnraumförderung im Besondern mit Blick auf die Unterstützung der unter § 1 Absatz 2 WoFG festgelegten Zielgruppen gerecht zu werden? Welche Bevölkerungsgruppen werden aus Sicht des Senats mit den gültigen Einkommensgrenzen nicht mehr hinreichend erreicht?
  3. Welche Bundesländer machen von der seit 2006 bestehenden Möglichkeit auf landesrechtliche Festlegung der Einkommensgrenzen für Wohnberechtigungsscheine Gebrauch? Wie stellen sich diese Einkommensgrenzen und relevante weitere Förderbedingungen im Einzelnen dar (bitte tabellarisch für jedes der Bundesländer auflisten)?
  4. Vor dem Hintergrund der Einkommensentwicklung, der seit 2006 vollzogenen Verschärfung der Wohnungsknappheit und den Festlegungen anderer Bundesländer: Wie bewertet der Senat aufbauend auf diesen Erkenntnissen die Notwendigkeit einer Festlegung eigener landesspezifischer Einkommensgrenzen? Welche Einkommensgrenzen sind nach Einschätzung des Senats für das Land Bremen im Einzelnen angemessen?
  5. Angesichts einer hohen Mietkostenbelastung weiter Teile der Bevölkerung und angesichts des seit 2022 stark erschwerten Zugangs zu Wohneigentum aufgrund der gestiegenen Zinsen: Welche Bedeutung misst der Senat der in der Bremer Wohnraumförderung neu etablierten zweiten Säule des sozialen Wohnungsbaues zur Förderung von preisgedämpftem Wohnraum im mittleren Preissegment bei? Welche Einkommensgrenzen sind nach Einschätzung des Senats für das Land Bremen hierfür zukünftig im Einzelnen angemessen?
  6. Besteht rechtlich die Möglichkeit, in die in der Stadtgemeinde Bremen bestehende Verpflichtung zur Errichtung von öffentlich geförderten Wohnungen (sog. 30-prozentige Sozialquote) auch Wohnungen der zweiten Fördersäule (mittleres Preissegment) einzubeziehen? Welche Vorteile könnte ein solches Fördermodell gerade im Kontext der Gewährleistung sozialer Vielfalt in den Stadtteilen bieten?
  7. Ist zum Erlass landesspezifischer Einkommensgrenzen für Wohnberechtigungsscheine ein Gesetzgebungsverfahren erforderlich – in Form der Schaffung eines Bremischen Wohnraumförderungsgesetzes oder eines Änderungsgesetzes an anderer Stelle? Beabsichtigt der Senat, der Bürgerschaft einen Entwurf für ein solches Gesetz vorzulegen und wenn ja, in welchem Prozess soll der Entwurf erarbeitet und zu wann soll er der Bürgerschaft vorgelegt werden?

 

 

Falk Wagner, Katharina Kähler, Mustafa Güngör und Fraktion der SPD

Bithja Menzel, Sahhanim Görgü-Philipp, Dr. Henrike Müller
und Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Sofia Leonidakis, Nelson Janßen und Fraktion DIE LINKE