
Dringlichkeitsantrag der Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD, Die Linke und der CDU
Mit Beschluss vom 28. März 2023 hat der Senat einen umfassenden Planungsprozess zur Realisierung eines Energy Port in Bremerhaven angestoßen. Bremerhaven soll eine bedeutende Rolle bei der Erreichung der deutschen und europäischen Klimaziele einnehmen und dadurch von den Wertschöpfungspotenzialen der Energiewende profitieren. Die Seestadt kann ihre Lagegunst, ihre großen Flächenreserven sowie die vielfältigen Fachkompetenzen vor Ort einbringen, um auf konkrete Bedarfe der Energiewende zu antworten. Das ist das Kernergebnis der vertieften Bedarfs- und Standortanalysen, deren Fokus auf den Bereichen der Offshore-Windenergie und des wasserstoffbasierten Energieimports lag.
Der Markt für Offshore-Windenergie unterliegt einer hohen Dynamik. Vor dem Hintergrund des European Green Deals haben alle Nordseeanrainer ihre Ausbauziele massiv erhöht. Der deutsche Ausbaupfad sieht einen Zubau an Offshore-Leistung von 30 GW bis 2030 und 70 GW bis 2045 vor. Ausbauflächen in der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) wurden in den Jahren 2023 und 2024 für über 15 Milliarden Euro an große Windparkbetreiber versteigert. Hersteller und Zulieferer bringen sich für die Realisierung der künftigen Windparks in Stellung. In den Häfen besteht jedoch aktuell ein Engpass an Flächen für Offshore-Nutzungen.
Bremerhaven hat in diesem Kontext mehrere Entwicklungspotenziale: Die bereits mit hohem Engagement verfolgte Möglichkeit des Konverterbaus soll durch die Bereitstellung weiterer Flächen und die Herstellung geeigneter Hafeninfrastrukturen zusätzlich unterstützt werden. Bremerhaven hat außerdem große Chancen, sich bei Umschlag und Vormontage von Windenergieanlagen (WEA) als bedeutender Installationshafen an der europäischen Nordseeküste zu platzieren. Voraussetzung dafür ist eine zügige Mobilisierung von Flächenpotenzialen. Im Bereich Rückbau/Recycling kann Bremerhaven sogar zum „First Mover“ an der europäischen Nordseeküste werden, wenn diese Entwicklungsoption gemeinsam mit Partnern aus Wirtschaft und Forschung jetzt zielgerichtet verfolgt wird.
Sofern die Kombination aus Kajen am seeschifftiefen Wasser in direkter Nachbarschaft zu Industrieflächen angeboten werden kann, würde die Chance bestehen, Produktionsunternehmen von Komponenten für Offshore-Windenergieanlagen anzusiedeln, was die höchste Wertschöpfung, sprich Arbeitsplatzschaffung, mit sich bringen würde.
Die Wasserstoffwirtschaft stellt eine weitere Technologie dar, die wegen der erforderlichen Speicherung von erneuerbaren Energien zunehmend in den Fokus gerät. Im Vergleich zum Offshore-Bereich ist der technologische Entwicklungspfad der Wasserstoffwirtschaft aber noch sehr offen und der Markthochlauf in einem sehr frühen Stadium. Klar ist, dass wasserstoffbasierte Energieträger künftig unverzichtbar sind, wenn die umfassende Dekarbonisierung der Industrie und der Schifffahrt gelingen soll. Im genehmigten Antrag der Fernleitungsnetzbetreiber zum Aufbau des Wasserstoff-Kernnetzes vom 22. Oktober 2024 ist eine Neubau-Pipeline durch die Wesermarsch enthalten. Diese Pipeline könnte bis 2030 fertiggestellt sein, setzt aber eine entsprechende Nachfrage voraus. Potenziale für Bremerhaven bestehen insbesondere beim Import der Energieträger LOHC, eMethanol oder Ammoniak.
Auf Basis einer Standortanalyse lassen sich die genannten Entwicklungspotenziale folgenden Standorten in Bremerhaven zuordnen:
Am südlichen Ende des Containerterminals wurden bereits in der Vergangenheit und bis heute immer wieder auch WEA-Komponenten umgeschlagen. Es gilt, diese zu nutzen und weitere Flächen für den Offshore-Bereich zu prüfen. Dafür ist eine enge Abstimmung mit den Terminalbetreibern erforderlich. Gegebenenfalls kommen hier auch Montagearbeiten in Frage. Mit verbindlichen Verabredungen zur Umnutzung dieses Teils der Stromkaje kann ein deutliches Signal in Richtung Offshore-Branche gesendet werden, dass der Standort Bremerhaven als Installations- und Montagehafen dauerhaft zurück auf der Landkarte ist. Dieses Geschäftsmodell wird unter der neuen Marke ECO POWER PORT aktiv von der Hafenwirtschaft vermarktet und kann daher einen ersten Baustein eines neuen Energy Ports darstellen.
Innerhalb des Fischereihafens soll an der Westseite als Startpunkt zur Entwicklung des Gesamtareals eine neue Kaje geschaffen und die dahinterliegende Fläche entwickelt werden, um ein multifunktionales Terminal einzurichten.
Das Hafenlayout des Außendeichs sieht eine Kajenstruktur mit zwei Liegeplätzen und einer Gesamtfläche von 11 ha vor. Gegenüber der früheren Planung für den OTB wird damit eine Reduktion der benötigten Fläche um mehr als die Hälfte erreicht. Möglich ist diese Reduktion, da die so genannte „Sternmontage“ an Land aufgrund des Größenwachstums der Offshore-Anlagen nicht mehr praktiziert wird. Der bauliche Eingriff in den ökologisch sensiblen Bereich der Weser wird damit erheblich verringert, was die Erstellung eines tragfähigen Kompensationskonzepts ermöglicht.
Als ein Baustein der Gesamtentwicklung soll im südlichen Fischereihafen ein „Life Cycle Innovation Hub“ realisiert werden: Unser Bundesland bietet im Bereich Circular Economy sowohl starke Unternehmen als auch starke Forschungskompetenzen, um gemeinsam mit Herstellern und Windparkbetreibern neue industrielle Verfahren im WEA-Rückbau und -Recycling zu entwickeln. Diese sollen dann im Zuge des stark steigenden Rückbaubedarfs ab Anfang der 2030er Jahre vor Ort Anwendung finden. Zudem soll der Aufbau weiterer Recyclingkapazitäten für andere End-of-Life-Güter verfolgt werden, um die Wertschöpfungspotenziale des Recycling-Hubs auszuschöpfen.
Der Umschlag von Offshore-Komponenten könnte perspektivisch wie der Import wasserstoffbasierter Energieträger über die neue Hafenanlage in der Weser erfolgen. Nördlich der Kläranlage könnte im südlichen Fischereihafen ein Tanklager für alternative Energieträger entstehen, wenn diese Nutzung kompatibel mit der umliegenden Nutzung ist. Wie von den Fernleitungsnetzbetreibern geplant, soll über eine Pipeline ein Anschluss auf die andere Weserseite gelegt werden. Damit wäre ein Anschluss an das Wasserstoff-Kernnetz geschaffen.
Weitere nennenswerte Potenziale liegen laut Bedarfsanalyse in der Einrichtung eines neuen Operations-&-Maintainance-Hubs für Offshore-Windparks und in der Produktion und Errichtung von Elektrolyseuren. Die Flächenbedarfe sind in diesen Fällen eher gering, weswegen sie sich an mehreren Standorten abbilden lassen und flexibel verfolgt werden sollen.
Der Erfolg von Ansiedlungsbemühungen, insbesondere mit Blick auf produzierende Unternehmen, hängt nicht nur von Standortfaktoren vor Ort ab, sondern auch von verbesserten Rahmenbedingungen für die deutsche und europäische Offshore-Branche: Es braucht einen tragfähigen Finanzierungsmechanismus, damit Bund und Länder gemeinsam die notwendigen Infrastrukturinvestitionen tätigen können. Das Gesamtvorhaben Energy Port soll vor diesem Hintergrund in Teilprojekte untergegliedert werden, um die Voraussetzungen zur Förderfähigkeit auf höherer politischer Ebene herzustellen. Zudem gilt es, das Ausschreibungsregime für Offshore-Flächen qualitativ so weiterzuentwickeln, dass die regionale Produktion von Komponenten gegenüber Importprodukten wettbewerbsfähig bleibt.
Das Land Bremen wird seine Chance dort suchen, wo Bremerhaven Standortvorteile mitbringt, um Unternehmensansiedlungen anzuregen, neue und stabile Wertschöpfungsketten zu schaffen sowie neue Beschäftigungsmöglichkeiten für die Menschen in der Seestadt und in der Nordwestregion zu schaffen.
Die Bürgerschaft (Landtag) möge beschließen:
Die Bürgerschaft (Landtag) fordert den Senat auf,
Dr. Emanuel Herold, Michael Labetzke, Dr. Henrike Müller
und Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Nils Bothen, Volker Stahmann, Mustafa Güngör und Fraktion der SPD
Muhlis Kocaaga, Sofia Leonidakis, Nelson Janßen und Fraktion Die Linke
Thorsten Raschen, Susanne Grobien, Theresa Gröninger, Frank Imhoff
und Fraktion der CDU
SPD-Bürgerschaftsfraktion
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