Unsere politische Arbeit für
Bremen & Bremerhaven

Schuldenbremse überwinden

Mustafa Güngör

Raus aus dem finanzpolitischen Krisenmodus

Den Fetisch der Schuldenbremse überwinden

Von Mustafa Güngör MdBB, Vorsitzender der SPD-Fraktion in der Bremischen Bürgerschaft

Wir erleben gegenwärtig eine anwachsende Flut sich wechselseitig verstärkender Krisen, die unsere Gesellschaften und politischen Systeme in einer nie dagewesenen Art und Weise herausfordern.

Die COVID-19-Pandemie und ihre Auswirkungen sind allgegenwärtig. Die Folgen des Klimawandels werden immer deutlicher spürbar. Und Russlands völkerrechtswidriger Angriffskrieg gegen die Ukraine erschüttert die globale und europäische Friedensordnung in einem Ausmaß, das noch vor wenigen Jahren kaum vorstellbar war.

Die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen sind verheerend. Steigende Lebensmittelpreise, ausufernde Strom- und Heizkosten sowie die Angst um den Verlust des Arbeitsplatzes belasten nicht nur die wirtschaftliche Entwicklung ganz unmittelbar, sondern gefährden den sozialen Zusammenhalt in unserem Land.

Ein Ende der Preisexplosion ist nicht in Sicht. Im Gegenteil. Die ganze Wucht der Energiepreiskrise sowie die damit verbunden Verwerfungen wird für viele Haushalte, Unternehmen und Betriebe sukzessive spürbar. Die Zahl derjenigen, die nicht mehr wissen, wie sie ihre Rechnungen bezahlen sollen, steigt und betrifft Handwerksbetriebe, energieintensive Unternehmen ebenso wie Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen und andere Einrichtungen der kritischen Infrastruktur gleichermaßen.

Klar ist: Ohne massive Intervention des Staates werden wir auch diese Krise nicht lösen können. Wir werden daher beschlossene Maßnahmen schnell umsetzen, um die wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen so gering wie möglich zu halten und gleichzeitig weitere Notfallmaßnahmen zu Abmilderung der Auswirkungen exorbitanter Energiepreise und zur Unterstützung der Menschen, Unternehmen und Betrieben ergreifen müssen. Das alles kostet Geld. Viel Geld. Geld, das bei Einhaltung der Schuldenbremse weder in den regulären Haushalten des Bundes noch der Länder und Kommunen vorhanden ist.

Historische Herausforderungen dulden keinen Aufschub

Verschärfend kommt hinzu, dass wir jenseits der makroökonomischen Schocks, die die COVID-19-Pandemie sowie die Invasion Russlands in der Ukraine ausgelöst haben, vor weiteren historischen Herausforderungen stehen, die keinen weiteren Aufschub dulden.

Längst hat uns der anhaltende Investitionsstau der Vergangenheit eingeholt und bedroht die wirtschaftlichen Grundlagen unseres Wohlstands. Neben maroden Straßen und Brücken beläuft sich allein der kommunale Investitionsstau für Schulen, Kitas, Sportstätten oder gute digitale Angebote laut der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) auf 150 Milliarden Euro.

Die dramatisch voranschreitende Klimakrise schließlich bedroht unser aller Lebensgrundlagen und die Zukunft unserer Kinder, wenn wir nicht jetzt entschieden gegensteuern. Die Enquetekommission „Klimaschutzstrategie für das Land Bremen“ hat unlängst hierzu die Mittelbedarfe für die notwendige ökologische Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft in Bremen auf bis zu sieben Milliarden Euro beziffert.

Während die dringend notwendigen Finanzbedarfe also unbestritten hoch sind, bleiben die Instrumente für eine expansive Finanzpolitik durch die Schuldenbremse weiterhin rar und beschränken sich im Wesentlichen auf das Entlanghangeln von Sondertopf zu Sondertopf, Sonderrücklagen, Sondervermögen oder dem Ausrufen von außergewöhnlichen Notsituationen.

Berücksichtigt man das Sondervermögen für die Bundeswehr, verfügt beispielsweise allein der Bund nach Schätzungen des Beirats des Stabilitätsrats über kreditfinanzierte Ausgabenspielräume in Höhe von rund fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Sonderhaushalten und Rücklagen außerhalb der Schuldenbremse. Vor diesem Hintergrund erscheint es mindestens wohlfeil, wenn der Bundesfinanzminister dieser Tage erklärt, im Jahr 2023 ohne Schulden auskommen zu wollen.

Schuldenbremse aus der Zeit gefallen

Je stärker jedoch die formale Einhaltung der Schuldenbremse zu einem rein ideologischen Gütesiegel verkommt, das über die finanzpolitische Realität im Zweifel wenig Auskunft gibt, desto stärker drängt sich die Frage nach Sinn und Unsinn der derzeitigen Schuldenregeln auf. Der der Schuldenbremse zugrunde liegende Glaubenssatz jedenfalls – je weniger Schulden desto größer die Handlungsfähigkeit des Staates – erscheint doch in seiner Eindimensionalität von der Realität der letzten Jahre überholt und damit geradezu aus der Zeit gefallen.

Für die Zukunft bedeutet das: Wir müssen den Fetisch der Schuldenbremse und den damit verbundenen finanzpolitischen Krisenmodus überwinden. Das befristete Aussetzen der Schuldenbremse ist kurzfristig richtig, greift aber angesichts der dringend und unbestritten notwendigen Ausweitung öffentlicher Investitionen in den nächsten Jahren deutlich zu kurz.

Handlungsfähigkeit des Staates sicherstellen

Wir brauchen eine ehrliche Debatte darüber, wie eine zukunftsfähige Finanzpolitik aussehen muss, die einerseits die Haushaltsgrundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit nicht über Bord wirft, gleichzeitig aber die Handlungsfähigkeit des Staates nachhaltig sicherstellen kann, ohne hierbei regelmäßig auf kreditfinanzierte Sonderhaushalte und andere haushaltstechnische Krücken zurückgreifen zu müssen.

Damit ist ausdrücklich nicht gemeint, steigende Sozialausgaben oder Transferleistungen in Zukunft mit Schulden zu finanzieren. Vielmehr geht es darum, wachstumspolitische Vorsorge zu betreiben und jetzt die notwendigen Zukunftsausgaben und Investition zu tätigen, damit zukünftige Generationen überhaupt eine Chance auf gute Arbeitsplätze und eine intakte wirtschaftliche, soziale und ökologische Infrastruktur haben.

Generationengerechtigkeit manifestiert sich nicht nur an der schwarzen Null

Klar ist: Die Zukunftsfähigkeit unseres Landes lässt sich nicht allein an der Höhe der Verschuldung ablesen und Generationengerechtigkeit manifestiert sich mit Sicherheit nicht allein an der schwarzen Null. Wenn wir es also ernst damit meinen, die Zukunft politisch gestalten und auch für zukünftige Generationen Verantwortung übernehmen zu wollen, werden wir nicht umhinkommen anzuerkennen, dass sich seit Einführung der Schuldenbremse sowohl die finanzpolitischen Herausforderungen als auch die finanzpolitischen Rahmenbedingungen nachhaltig und grundlegend verändert haben.

Es ist daher vor allem auch ein Gebot politischer Klarheit, wenn man angesichts der gegenwärtigen stetig anwachsenden Flut sich wechselseitig verstärkender Krisen konstatieren muss, dass die finanzpolitischen Instrumente von vor über zehn Jahren eben nicht wirklich in der Lage sind, die Herausforderungen der nächsten zehn Jahre zielgerichtet zu meistern.

Klar ist aber auch: Eine solche Debatte kann nicht allein auf Ebene der Länder, sondern muss auf Bundesebene geführt werden. Denn einmal mehr sind Energieversorgungssicherheit, digitaler Wandel und die ökologische Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft gesamtgesellschaftliche Aufgaben, die kein Land allein bewältigen kann.

Die SPD tut gut daran, diese Diskussion offensiv zu führen.