ParlamentsTicker

Aus dem Landtag | 29. Juni 2023

Mustafa Güngör gratuliert Antje Grotheer zur Wahl zur Präsidentin der Bremischen Bürgerschaft
Erster Gratulant: Der SPD-Fraktionsvorsitzende, Mustafa Güngör, beglückwünschte Antje Grotheer nachdem die Bürgerschaft die SPD-Abgeordnete zu ihrer neuen Präsidentin gewählt hatte.

Antje Grotheerzur Präsidentin der Bürgerschaft gewählt

Die Bürgerschaft hat heute die Sozialdemokratin Antje Grotheer erneut zur Präsidentin gewählt. Grotheer erhielt 84 von 87 abgegebenen Stimmen bei zwei Enthaltungen und löst somit Frank Imhoff ab. Als Schriftführer:innen wurden aus der SPD-Fraktion Heike Kretschmann, Elombo Bolayela und Holger Welt in den Bürgerschaftsvorstand gewählt. In ihrer Antrittsrede forderte Grotheer die Abgeordneten auf, auf die Bürger:innen zuzugehen und sie und ihre Sorgen wahr- und ernstzunehmen. Sie betonte die gemeinsame Verantwortung für die Demokratie, positionierte sich klar gegen Rechts und forderte, auch weiterhin Anstrengungen zu unternehmen, um ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis in der Bürgerschaft zu erreichen. Und schließlich betonte sie noch den Wert eines gemeinsamen Europas insbesondere für Bremen und Bremerhaven. Nicht gewählt in den Bürgerschaftsvorstand wurde der Kandidat der Partei Bündnis Deutschland, die bis vor kurzem als Bürger in Wut firmierte. Und der SPD-Fraktionsvorsitzende, Mustafa Güngör, kündigte an, dass Vertreter:innen von Bündnis Deutschland auch von anderen wichtigen Posten in der Bürgerschaft, in Ausschüssen und Deputationen ferngehalten werden sollen. „Wir haben berechtigte Zweifel, dass sie so bürgerlich und harmlos sind, wie sie behaupten”, erklärte Güngör und betonte: „Wir werden uns nicht an der Normalisierung von Rechtspopulisten beteiligen.”

„Ich freue mich sehr, dass ich erneut das Amt der Präsidentin dieses hohen Hauses ausfüllen darf„, sagte Grotheer, die dieses 2019 schon einmal innehatte, zu Beginn ihrer Rede, in der sie sich bei den anderen Abgeordneten für die Unterstützung bedankte. „Dies ist mir eine große Freude und eine riesige Ehre!”

Die Sozialdemokratin wies darauf hin, dass von den 87 Abgeordneten mehr als 40 Prozent erstmals in die Bürgerschaft gewählt worden seien. „Ich bin zutiefst davon überzeugt: Demokratie und politische Debatten gewinnen auch durch neue Perspektiven, Biografien und Themen!”, betonte sie. Ein solcher Gewinn entstehe auch durch die Zusammensetzung der Bürgerschaft. „Die Bürgerschaft ist in ihrer Zusammensetzung divers – auch weiterhin. Und das ist gut so. Denn je diverser ein Parlament ist, desto mehr Menschen fühlen sich gehört und vertreten. Diese Vielfalt, die Sie ein- und mitbringen, ist deshalb ein wichtiger Baustein, um das Vertrauen der Wähler:innen in unsere Demokratie zu stärken.”

Geschlechtergerechtigkeit muss weiterhin das Ziel sein

Diese Diversität sei mittlerweile eine Selbstverständlichkeit, sagte Grotheer. Parität im Parlament sei dies aber noch nicht. Denn die Bürgerschaft sei mit knapp 37 Prozent Stand heute nicht weiblicher als in der Legislaturperiode zuvor. Grotheer: „Sie kennen meine Haltung: Die Hälfte der Bevölkerung sind Frauen – und das muss sich auch in der Zusammensetzung von politischen Entscheidungsgremien widerspiegeln. Darum können und darum dürfen wir uns mit der aktuellen Situation nicht zufriedengeben! Geschlechtergerechtigkeit in der politischen Repräsentation darf kein Zufall, sondern Parität in unseren Parlamenten muss ein ernsthaftes Anliegen aller Demokrat:innen sein und zur Selbstverständlichkeit werden. Und wir alle sind gefordert, weiter an diesem Ziel zu arbeiten!”

Die neu gewählte Bürgerschaftspräsidentin erinnerte die Abgeordneten an ihre Verantwortung gegenüber ihren Wähler:innen – und gegenüber allen Menschen in Bremen und Bremerhaven. „Viele dieser Menschen machen sich derzeit große Sorgen: Über den Krieg in Europa. Über den Klimawandel. Darüber, wie sich Gesellschaft verändert. Über die Zukunft ihrer Kinder und Enkelkinder. Sie fragen sich, was die derzeitigen Krisen und Preissteigerungen für ihren Alltag bedeuten und in Zukunft bedeuten werden – und das nicht abstrakt, sondern ganz konkret in ihrem jeweiligen direkten Lebensumfeld und für sie ganz persönlich. Diese Wähler:innen haben das Recht darauf, dass wir sie und ihre Sorgen wahr- und ernstnehmen”, sagte Grotheer. „Ich möchte Ihnen allen – als Präsidentin dieses Parlamentes, aber auch ganz persönlich – ans Herz legen: Nutzen Sie die kommenden vier Jahre, um dem Vertrauen gerecht zu werden, dass Ihnen die Menschen dieses Bundeslandes als Vorschuss gegeben haben. Kommen sie mit den Menschen ins Gespräch. Gehen Sie auf die Menschen zu. Hören Sie ihnen zu. Kämpfen Sie für Ihre politischen Ideen und bleiben Sie hartnäckig, aber wechseln Sie auch die Perspektive – und, wenn Sie überzeugt sind, auch mal den eigenen Standpunkt. Diskutieren und streiten Sie – aber lassen Sie sich von den Bürger:innen auch mal die Meinung geigen! Das alles ist notwendig für eine lebendige und gesunde Demokratie.”

Verantwortung für die Demokratie

Denn auch für die Demokratie trügen die Abgeordneten Verantwortung. „Und was die Demokratie nicht braucht, das sind Hass, Hetze, Fake News, Beleidigungen, Einschüchterungsversuche, Morddrohungen oder Diskriminierung – im Netz, in anonymen Briefen oder auf der Straße. Denn das ist es, was unsere Demokratie gegenwärtig gefährdet: Nicht der Angriff von außen, sondern der Angriff von innen. Und als Parlamentarier sind wir dafür verantwortlich, diesen Angriff abzuwehren!”

Die AfD habe diese Verantwortung eben nicht wahrgenommen – und sich in den vergangenen vier Jahren nahezu ausschließlich mit Streitereien untereinander beschäftigt und sich nicht konstruktiv in die parlamentarische Debatte eingebracht. „Ich fand dieses Verhalten vor allem eines: beschämend. Beschämend gegenüber diesem Haus, beschämend gegenüber der Demokratie, vor allem aber beschämend gegenüber den Bürger:innen, mit deren Stimmen so schändlich umgegangen worden ist„, stellte Grotheer klar.

Und noch einen negativen Effekt habe das Wirken der AfD gehabt: Die Zahl der Ordnungsrufe sei deutlich gestiegen. „Und auch, wenn die AfD nicht mehr in diesem Parlament vertreten ist und ich natürlich hoffe, dass es nicht nötig sein wird, zum Mittel des Ordnungsrufs oder anderer Sanktionen aus unserer Geschäftsordnung greifen zu müssen – ich kann Ihnen versprechen und versichern: Ich werde in diesem Haus nicht dulden, dass Menschenwürde, Vielfalt, Freiheit und Solidarität in Frage gestellt werden. Wer dies tut, hat in einem deutschen Parlament nichts verloren”, kündigte Grotheer an.

Das Ende ihrer Rede nutzte Grotheer für einen Appell für Europa. „Die nächste Wahl, die auf unser Bundesland zukommt, ist die Europawahl im kommenden Jahr. Und gerade für uns als Parlamentarier:innen ist es eine wichtige Aufgabe, für diese Wahl zu werben, die Menschen zu ermutigen, auch an dieser Wahl teilzunehmen und mitzuentscheiden. Ihnen immer wieder zu verdeutlichen: In Bremen und Bremerhaven steckt jede Menge Europa – wirtschaftlich, kulturell oder wissenschaftlich„, beonte sie.  „Aber nicht nur das: Angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine, angesichts von Nationalismus, Populismus und Abschottung in einigen der EU-Länder, finde ich, ist es als Parlament unseres Bundeslandes auch unsere Aufgabe, im Sinne von Demokratie, Freiheit und Frieden den europäischen Gedanken zu unterstützen. Nicht zuletzt auch, weil wir die großen Fragen unseres Jahrhunderts wie Klimaschutz, Sicherheit oder Fluchtbewegungen nur gemeinsam in Europa – und in einem gemeinsamen Europa – werden lösen können.”

 
 

„Wir werden uns nicht an der Normalisierung von Rechtspopulisten beteiligen!”

Mustafa Güngör
Mustafa Güngör

Als Schriftführer:innen werden zudem Heike Kretschmann, Elombo Bolayela und Holger Welt die SPD-Fraktion im Bürgerschaftsvorstand vertreten. Auch sie wurden heute mit großer Mehrheit von der Bürgerschaft gewählt. Nicht in dieses Gremium gewählt wurde der Kandidat von Bündnis Deutschland.
Dies hatte der SPD-Fraktionsvorsitzende, Mustafa Güngör, bereits in einer Debatte zu Beginn der Bürgerschaftssitzung stellvertretend für alle demokratischen Fraktionen angekündigt und begründet.

„Wir wollen die Abgeordneten des sogenannten Bündnis Deutschland – oder vormals Bürger in Wut – bewusst von wichtigen Positionen in der Bürgerschaft, in Ausschüssen und Deputationen fernhalten. Denn es ist im Grunde ganz einfach: Wir haben berechtigte Zweifel, dass sie so bürgerlich und harmlos sind, wie sie behaupten“, erklärte Güngör und erinnerte daran, dass die Partei zwei Kandidaten habe rausschmeißen müssen, weil diese Kontakte ins rechtsextreme Milieu gehabt haben sollen.

„Wir können bei so wichtigen Ämtern nicht ins Risiko gehen!„

Die Partei habe auch jetzt noch Abgeordnete in ihren Reihen, die sich auf Facebook über die Anzahl von „Afrikanern in der Tchibo-Werbung“ echauffierten. „Wer garantiert uns denn, dass es das nun wirklich war mit den Rassisten, Verfassungsfeinden und Querdenkern in Ihrer Fraktion – von Ihrer Partei ganz zu schweigen? Was ist denn, wenn wir jemanden von Ihnen in den Bürgerschaftsvorstand wählen – und in ein paar Monaten kommt heraus, dass das der nächste Faschist ist, der aus Ihrer Fraktion geworfen wird? Die Presseberichterstattung heute erhärtet diesen Verdacht in Teilen auch“, erklärte Güngör. Das Personal der Partei sei in weiten Teilen einfach zu undurchsichtig. „Und wir können hier bei so wichtigen Ämtern nicht ins Risiko gehen und auf gut Glück mit potenziellen Verfassungsfeinden zusammenarbeiten!“

Aber auch abgesehen davon stelle sich die Frage, wofür die Vertreter von Bündnis Deutschland im Parlament eigentlich stünden, machte Güngör deutlich und zitierte Passagen aus dem Wahlprogramm. Das Weltbild der Bürger in Wut bestehe aus „dem typischen Narrativ von ‚denen da oben‘, die nur ihren eigenen Vorteil im Sinn haben. Denen das Wohl der Bürgerinnen und Bürger, die sie vertreten, angeblich vollkommen egal ist“.

„Purer Populismus ohne einen Rest von Anstand”

„Das ist reinster Donald-Trump-Sprech! Das ist die Verachtung unserer repräsentativen Demokratie! Das ist purer Populismus ohne einen Rest von Anstand! Und denjenigen, die solche Äußerungen einfach als Wahlkampfgetöse im Rahmen des demokratischen Spektrums abtun, denen empfehle ich einen Blick auf Seite 3 des BIW-Wahlprogramms. Dort wird nämlich das Aushebeln aller verfassungsgemäßen Grundsätze gefordert“, erklärte Güngör mit Blick auf den dort geforderten, direkt gewählten „Landespräsidenten“, der keiner politischen Partei nahestehen dürfe, dem die Aufsicht über das Landesamt für Verfassungsschutz obliegen soll und der die Richter bis hinauf zum Staatsgerichtshof und der obersten Landesgerichte bestimmen soll. Güngör: „Das ist die totale Aushebelung der Gewaltenteilung, was Sie dort fordern. Das ist klar verfassungsfeindlich! Das ist gegen alle demokratischen Grundsätze! Das ist – ehrlich gesagt – auch überhaupt nicht, wie Sie immer behaupten, bürgerlich, sondern erinnert eher an Reichsbürgerideologie und den Ruf nach einem starken Führer!“

„Wir werden genau verfolgen, was Sie tun”

Güngör kündigte daher an: „Wir werden in den kommenden vier Jahren genau verfolgen, was Sie tun. Wir werden genau verfolgen, ob sich Ihre Fraktion hier im Plenum oder in den Gremien verfassungsfeindlich, rassistisch oder sonst irgendwie problematisch äußert. Und wir werden genau verfolgen, ob Sie hier konstruktiv mitarbeiten, oder ob Ihre Abgeordneten – so wie die Abgeordneten der AfD in den letzten Jahren – nur ihre Diäten einstreichen und sich die Arbeit vom Leib halten. In vier Jahren werden wir Bilanz ziehen und gucken, ob Sie eine vollkommen harmlose bürgerliche Partei sind, die mit beiden Füßen fest auf dem Boden unserer Verfassung steht. Und dann – davon bin ich überzeugt – werden wir feststellen, dass es die richtige Entscheidung war, Sie von wichtigen Ämtern in unserer Demokratie fernzuhalten.“

Abschließend wurde Güngör noch einmal deutlich: „Wir werden uns nicht an der Normalisierung von Rechtspopulisten beteiligen!“

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