
Antrag der Fraktion der SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Die Linke
In Bremen hat ein wachsender Anteil von älteren Menschen eine Migrationsgeschichte. Allein zwischen 2013 und 2019 ist der Anteil um etwa 21 Prozent gestiegen. Anfang 2023 betrug der Anteil derer mit Migrationsgeschichte bei den 65-jährigen oder älteren Menschen in der Stadt Bremen 17 Prozent, also über 20.500 Menschen. Bei den 50-65-Jährigen lag der Anteil bereits bei 28 Prozent – knapp 33.500 Menschen. Die ältere Bevölkerung mit Migrationsgeschichte ist vielfältig. Sie umfasst die erste Generation der sogenannten Gastarbeiter:innen aus den ehemaligen Anwerbeländern, (Spät-)Aussiedler:innen und in den letzten Jahren vermehrt Geflüchtete. Vorliegende Studien und die Antworten des Senats auf die Großen Anfragen zu Altersarmut (Drs. 21/988) sowie zur „Lebenssituation von älteren Menschen mit Migrationsgeschichte“ (Drs. 21/920) zeigen, dass ältere Migrant:innen sozioökonomisch gegenüber Gleichaltrigen ohne Migrationserfahrung benachteiligt sind. Sie erhalten häufig eine niedrigere Rente, beziehen Grundsicherung im Alter und haben ein höheres Armutsrisiko, wobei dies deutlich nach Geschlecht und Zuwanderungsgeschichte variiert. Insbesondere weibliche ältere Menschen mit Migrationsgeschichte sind von Altersarmut und prekären Lebens- wie Wohnverhältnissen bedroht beziehungsweise betroffen.
Hinzu kommt ein erhöhtes Risiko von Mehrfacherkrankungen verursacht unter anderem durch die Umstände der Migration und ungünstigere Lebens- und Arbeitsbedingungen. Gleichzeitig verfügen sie häufig über spezifische Ressourcen, insbesondere über ein hohes Maß an intergenerationaler und transnationaler sozialer Unterstützung. Im Älterwerden gilt für diese Bevölkerungsgruppe das Gleiche wie für Ältere insgesamt: Der Wunsch nach einer teilhaborientierten Lebensgestaltung und einem möglichst langen Verbleib in der eigenen Wohnung. Familiär geleistete Pflege war und ist bei Menschen mit Migrationsgeschichte nach wie vor von zentraler Bedeutung. Da Angehörige – insbesondere Frauen – aber genau wie die übrige Bevölkerung zunehmend erwerbstätig sind, können sie auch nicht mehr Unterstützung leisten als es durchschnittlich der Fall ist. Gleichzeitig führen verschiedene Zugangshemmnisse wie mangelnde Informationen über das Leistungsangebot, Diskriminierungserfahrungen, kulturelle Unterschiede im Verständnis von Krankheit und Gesundheit und Sprach- und Verständigungsschwierigkeiten zu höheren Barrieren, Begegnungs- und Unterstützungsangebote in Anspruch zu nehmen. In Bremen wird dies auch dadurch ersichtlich und verschärft, dass es in der Tendenz eine Überschneidung zwischen den im Landespflegebericht Bremen 2023 als strukturell in der Altenhilfe identifizierten benachteiligten Stadtteilen und denen mit den höchsten Anteilen älterer zugewanderter Menschen festgestellt werden kann.
Bremen hat sich mit dem Rahmenkonzept Gesellschaftliche Teilhabe und Diversity bereits das Ziel gesetzt, die Pflegeversorgung und Altenhilfe durch verschiedene Maßnahmen stärker auf die unterschiedlichen Gruppen älterer Menschen mit Migrationserfahrungen auszurichten. So wird bereits jetzt durch entsprechende Maßnahmen ein wichtiger Beitrag zur Förderung der Teilhabe gesundheitlicher Chancengleichheit geleistet: Dabei stellt z.B. das Zentrum für Migranten und interkulturelle Studien (ZIS) in Gröpelingen einen zentralen Akteur in Bremen dar. Unterstützt durch viele Ehrenamtliche bietet es mit Körprü („Brücke“) eine Kontaktstelle für ältere Menschen mit Migrationsgeschichte mit diversen Gruppenformaten zur Vernetzung, Beratungen und Begleitung an. Zusätzlich organisieren sie das Netzwerk für Demenz und Migration und kooperieren mit der Bremer Heimstiftung in der Tagespflege im Stiftungsdorf Gröpelingen. Ebenso bietet die Selbsthilfekontaktstelle SILA – Stark im Quartier vom Verein Familien im Hilfenetz ein leicht zugängliches Beratungs- und Begleitungsangebot für pflegebedürftige Menschen und Angehörige aus russischen Kulturkreisen in der Vahr an. Auch die kommunal geförderten Seniorenbegegnungstreffs und -zentren richten sich vielfach bereits stärker auf ältere zugewanderte Menschen aus.
Die bestehenden Angebote in den Quartieren sowie die behördenseitigen Informationsangebote bilden eine wertvolle Grundlage für die Unterstützung älterer Menschen mit Migrationsgeschichte in Bremen. Dennoch wird die sprachliche Vielfalt dieser wachsenden Bevölkerungsgruppe bislang noch nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt. In einigen Stadtteilen existieren zwar bereits spezielle Angebote für ältere Frauen mit Migrationsgeschichte, jedoch sind diese bei weitem nicht stadtweit verfügbar. Oftmals sind diese Angebote lediglich in türkischer Sprache zugänglich. Um den spezifischen Problemlagen insbesondere dieser Personengruppe gerecht zu werden, ist es notwendig, die bestehenden Angebote in weitere Stadtteile auszuweiten und vor allem die sprachliche Diversität zu erhöhen.
Die Anzahl von älteren Migrant:innen und ihre (teils spezifischen) Bedarfe in der Altenhilfe und im Pflegesystem werden weiter steigen. Persönlicher Kontakt ist für Menschen mit Zugangsbarrieren elementar, um Vertrauen in bestehende Angebote aufzubauen und sie tatsächlich in Anspruch zu nehmen. Langfristiges Ziel ist dabei, eine weitere interkulturelle Öffnung bestehender Angebote für ältere Menschen zu erreichen.
Die Stadtbürgerschaft möge beschließen:
Die Stadtbürgerschaft fordert den Senat auf,
1. aufbauend auf die bisherigen Projekte „Köprü“ und „SILA – Stark im Quartier“, weitere zentrale Anlaufstellen zur Beratung und Begleitung älterer, pflegebedürftiger Menschen mit Einwanderungsgeschichte in migrantisch geprägten Stadtteilen konzeptionell weiterzuentwickeln und hierbei insbesondere einen Fokus auf die Bedarfe von älteren Frauen mit Migrationsgeschichte zu legen;
2. in Kooperation mit Migrant:innen-Organisationen, religiösen Einrichtungen und weiteren relevanten Akteuren offensiv und mehrsprachig über Grundsicherung im Alter und Wohngeldansprüche zu informieren;
3. bei der Weiterentwicklung des Konzepts Pflege im Quartier eine explizit sprach- und kultursensible Perspektive zu ergänzen und dabei insbesondere auch Angebote für pflegende oder begleitende Angehörige unter Berücksichtigung ihrer sprachlichen, kulturellen und sozialen Bedürfnisse mit einzubeziehen. Gleichzeitig ist die Zusammenarbeit zwischen den Gesundheitsfachkräften im Quartier und den bestehenden Organisationen und Angeboten für ältere Menschen mit Migrationsgeschichte systematisch zu verzahnen, um einen kontinuierlichen Austausch sowie eine bessere Erreichbarkeit und gezielte gesundheitliche und pflegerische Beratung von Senior:innen mit Migrationsgeschichte sicherzustellen;
4. den Ausbau von Sprachmittlungsdiensten und -angeboten in allen relevanten Bereichen der Altenhilfe sicherzustellen und weiterzuentwickeln. Hierzu sollten die vorhandenen Informationsangebote, insbesondere über ambulante Pflegemöglichkeiten, haushaltsnahe Dienstleistungen, Pflegeeinrichtungen und Pflegestellen überprüft, und bei Bedarf zusätzliche mehrsprachige Informationsangebote geschaffen werden, um eine breitere Zielgruppe zu erreichen;
5. mehrsprachige Selbsthilfegruppen und niedrigschwellige Deutschangebote für Senior:innen weiterhin zu fördern und gegebenenfalls auszubauen, um die Hürden für gesellschaftliche Teilhabe weiter zu senken;
6. aus den bestehenden Angeboten für ältere Menschen mit Migrationsgeschichte „best practice“-Projekte zu identifizieren und, wo möglich, auf weitere Sprachen und Quartiere zu übertragen;
7. im Rahmen der halbjährigen Berichterstattung zur Umsetzung des Konzepts „Pflege im Quartier“ in der städtischen Deputation für Soziales, Jugend und Integration sowie der städtischen Deputation für Gesundheit, Pflege und Verbraucherschutz, die sprach- und kultursensible Perspektive wie in Beschlusspunkt 3 beschrieben zu ergänzen;
8. der städtischen Deputation für Soziales, Jugend und Integration sowie der städtischen Deputation für Gesundheit, Pflege und Verbraucherschutz drei Monate nach Beschlussfassung über den Stand der Umsetzung der Beschlusspunkte 1 und 2 zu berichten und ein Jahr nach Beschlussfassung über den Umsetzungsstand sämtlicher Beschlusspunkte zu informieren.
Valentina Tuchel, Ute Reimers-Bruns, Katharina Kähler,
Mustafa Güngör und Fraktion der SPD
Sahhanim Görgü-Philipp, Dr. Henrike Müller
und Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Cindi Tuncel, Olaf Zimmer, Sofia Leonidakis, Nelson Janßen
und Fraktion Die Linke
SPD-Bürgerschaftsfraktion
Land Bremen
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